Retro-Interview: Sir Wilfred of Ivanhoe
19. Oktober 2024(erstmals erschienen in der ASM 3/2023)
„Verteidiger der Krone“ – „Defender of the Crown“ wurde er genannt, und wir reden von der engl… – äh – britischen Krone, denn die wurde ja bekanntlich geklaut, von Prinz Johann Ohneland, auf Englisch Lackland, während sein Bruder, König Richard, auf dem Rückweg vom Kreuzzug in Geiselhaft geraten war …die Kurzfassung bekommt man auch im Intro des Spiels, insofern sparen wir uns das hier. Interessant ist, dass Cinemaware im Grunde auf die Storyline des mehrfach verfilmten Romans „Ivanhoe“, erdacht vom Schriftsteller Sir Walter Scott im Jahre 1820, Bezug nimmt, obwohl das nie so explizit erwähnt wird – man geht offenbar davon aus, dass im angelsächsischen Sprachraum die Geschichte und ihre Charaktere so bekannt sind. Hier in Deutschland ist das alles andere als selbstverständlich, und so hat sich unser Autor entschlossen, die eigentliche Hauptfigur des Romans und Films und damit eben auch Computerspiels zu interviewen, Sir Wilfred of Ivanhoe.
ASM: Sir Wilfred…
Sir W.: Wilfried.
ASM: Wie bitte?
Sir W.: Wilfried. Auf Deutsch heiße ich Wilfried von Ivanhoe. Ich dachte, Er als Englisch- und Deutschlehrer weiß so etwas.
ASM: Ich bitte um Vergebung. Nun denn, Sir Wilfried. Wer „Defender of the Crown“ spielt, kann, aber muss euch nicht zur Hauptfigur seines Abenteuers am Computer machen, und auch sonst haben die Programmierer und Game-Designer in Anlehnung an Sir Walter Scotts Werk munter geschichtliche und fiktive Figuren und Ereignisse zusammengeworfen…
Sir W.: Ich vermute, damit spielt Er auf meinen alten Waffenbruder Robin von Locksley, genannt Hood, an? Der ist keineswegs fiktiv, dafür verbürge ich mich.
ASM: Eigentlich ist es genau umgekehrt – die Quellenlage bezüglich Robin Hood ist relativ gut erforscht, aber Euch, Sir Wilfried, hat offenbar Sir Walter Scott erfunden.
Sir W.: Erfunden? Ich sitze doch hier und rede mit Ihm. Er ist wirklich nicht sehr gut informiert.
ASM: Euer Lordschaft, der Sinn eines Interviews liegt ja darin, am Ende besser informiert zu sein als am Anfang.
Sir W.: Das erklärt einiges. Fahre Er fort.
ASM: Im C64-Wiki bezeichnet man Euch als „Sunnyboy unter den Helden“. Das liegt daran, dass Ihr in dieser Version in allen Kern-Fähigkeiten – Tjostieren, Schwertkampf und auch Führungsqualitäten – gleichermaßen als „gut“ eingeschätzt werdet. Als ich dann später die Amiga-Version ausprobieren durfte, war ich etwas irritiert über die schwächere Leistung im Schwertkampf…
Sir W.: Im Grunde sollte ich deswegen beleidigt sein, auch wegen der flapsigen Formulierung – aber Fakt ist, ich hatte einfach mehr Zeit zum Üben zwischendurch. Die Amiga-Version kam meines Wissens unfertig auf den Markt.
ASM: Nebenbei verdanke ich dem Spiel die Erkenntnis, dass es für „Jousting“ tatsächlich das deutsche Wort „Tjostieren“ gibt. Und immerhin wird es hier tatsächlich auf Pferden gespielt statt auf Straußen.
Sir W.: Auf… Straußen?
ASM: Ja, wie Parzival gegen Acererak…
Sir W.: Parzival? Da hat Er sich jetzt aber definitiv im Jahrhundert geirrt. Das war noch zu Zeiten von König Artus’ Tafelrunde…
ASM: Ein anderer Parzival, Sir Wilfried. Jedenfalls fand ich es faszinierend, dass das Turnier dann ausgerechnet in Ashby-de-la-Zouch stattfindet, der Heimatstadt des ebenfalls legendären Adrian Mole mit seinem „geheimen Tagebuch“…
Sir W.: Man sollte mit dem Begriff „legendär“ vorsichtig sein. Persönlich scheint es mir ja so, dass man in Eurer Welt erst wirklich legendär ist, wenn es ein Computerspiel über einen gibt.
ASM: Das trifft auf Adrian Mole tatsächlich zu.
Sir W.: Ist das so? Nun, er war wohl nicht der Champion in Ashby, aber an seine Taten wird man sich erinnern.
ASM: So steht es geschrieben. Sir Wilfried, lasst uns bei der Erwähnung von „Ashby-de-la-Zouch“ noch über die seltsamen französischen Namen der Normannen reden, die auch aus dem „Ivanhoe“-Roman stammen – die sind ja ebenfalls kurios: Brian Ausdemwald, Reginald Ochsengesicht und Philipp Bösernachbar…
Sir W.: Der beste Beweis, dass Französisch die ästhetischere Sprache ist. De Bois! Front de Bœuf! Malvoisin! Klingt doch gleich viel freundlicher.
ASM: Das kann allerdings nicht der Sinn der Sache sein, nachdem die Herren ja Eure Feinde darstellen. Aber es bringt natürlich das nötige Lokalkolorit hinein, nachdem die Normannen aus der französischen Normandie stammen.
Sir W.: Allerdings nicht originär: Normannen sind ja im Grunde „Nord-Mannen“…
ASM: …wobei aber die Normandie von England aus gesehen im Süden liegt…
Sir W.: Ja, aber sie stammen von den Wikingern ab, die einst aus dem Norden nach Frankreich kamen, um dann bei der normannischen Eroberung durch William the Conqueror im Jahre 1066 wieder in den Norden, sprich, nach England zu ziehen.
ASM: Eine hochinteressante Geschichtsstunde! Immerhin kommt man mit Norden und Süden nicht so leicht durcheinander wie mit Osten und Westen – wenn ich lange genug in den Westen fahre, komme ich irgendwann im Osten raus. Das Pacman-Prinzip.
Sir W.: Ich muss zugeben, dass mich Seine Anachronismen zu irritieren beginnen.
ASM: Verzeiht. Meine letzte Frage, die ich historischen Gestalten in Computerspielen immer gerne stelle: Wie zufrieden seid Ihr mit der digitalen Repräsentation eures Konterfeis? Ich bin mir nicht sicher, wen Jim Sachs für die Computergrafik als Vorbild genommen hat.
Sir W.: Das Porträt ist definitiv gelungen, obwohl ich mich an den Mosaik-Stil Eurer „Pixel-Kunst“ erst gewöhnen musste und die Farbwahl manchmal eigenartig fand. Die violette Rüstung auf dem Commodore 64… also nein. Nichtsdestotrotz: Erfreut bin ich, dass man offenbar tatsächlich einen Sachsen engagiert hat – oder habe ich mich da verhört?
ASM: Jim Sachs – ja, auch auf ihn trifft der Begriff „legendär“ zu, obwohl er später nur noch diese Aquariums-Fisch-Simulation gemacht hat…
Sir W.: Fische? Ah, ein Angelsachse also.
ASM: Hm?
Sir W.: Hm?
ASM: Reginald Front-de-Bœuf sieht eher nicht so aus wie der aus den Indiana-Jones-Filmen bekannte John Rhys-Davies, der ihn einmal gespielt hat, aber angeblich erkennt man in einer Turnierszene Elizabeth Taylor. Was ich mir persönlich gewünscht hätte, wäre so ein überraschender Gastschauspieler für König Richard am Ende gewesen. So wie Patrick Stewart in Mel Brooks’ „Robin Hood – Helden in Strumpfhosen“…
Sir W.: Womöglich kann ich da meine Beziehungen spielen lassen. Einen Augenblick… (aus dem Off) Eure Majestät? Wir wären bereit für Euer Schlusswort!
Richard Löwenherz (mit der Stimme von Captain Picard): Machen Sie es so!
ASM: Vielen Dank für das Interview.