Jäger des verlorenen Zeitgeists
„Wer sich an die 60er Jahre erinnert, hat sie nicht erlebt“ – so oder ähnlich lautet ein Spruch, den ich mal gehört/gelesen habe und der wohl auf den lockeren Umgang mit Sex, Drogen und Rock’n’Roll (naja, vielleicht auch nicht) anspielen soll. Bei meiner Generation sieht das schon ganz anders aus – jeder erinnert sich an die 80er und 90er, selbst diejenigen, die nachweislich nicht dabei waren: Die Retro-Welle in der Öffentlichkeit und in den Medien ist unübersehbar (demnächst auch wieder Thema eines ausführlicheren Interviews mit Josef Göhlen, Ex-Serienchef des ZDF, fürs Hill Valley Blog, das auch im retro-Magazin erscheinen soll – Daumen drücken!) und wie üblich war früher alles besser. In diese Kerbe schlägt das Buch von Frank Jöricke, dessen Klappentext dem Leser nicht weniger in Aussicht stellt als die Vermessung, pardon, die Erklärung der Welt (die Indiana-Jones-Anspielung auf dem Titelbild passt ja irgendwie eher zu Ersterem). Vonstatten geht selbige sehr häufig, indem Jöricke personale Ikonen der Popkultur exemplarisch seziert (ja, ich versuche gerade, möglichst viele Fremdwörter in eine Aussage zu packen) – von Burt Reynolds bis Bettina Wulff, von Madonna bis Harald Schmidt sind sie alle dabei – und natürlich James Bond in seinen Inkarnationen, der (ähnlich wie es Kollege Thomas Höhl schon bezüglich Superman und anderer Über-Helden festgestellt hat) früher die Macht hatte und jetzt nur noch einen Hau.
Aber wer braucht dieses Buch überhaupt? Dessen ist es sich selbst offenbar nicht so ganz sicher. Da wird einerseits das sattsam bekannte Trivial-Pursuit-Wissen über die Zeit abgespult, immerhin nicht unkommentiert und unkritisch, andererseits einige Dinge für derart selbstverständlich genommen und eben nicht unbedingt „erklärt“ sondern allenfalls kommentiert und kritisiert, dass es eher darum zu gehen scheint, den „Kindern der 80er/90er“ ein Wackeldackelkopfnicken zu entlocken, gepaart mit einem „Ja, ja, so war das“ und dem dazugehörigen tiefen Seufzer. Ich will nicht ungerecht sein – Werbetexter Jöricke hat einen verdammt guten Stil und das Buch zu lesen ist durchaus angenehm unterhaltsam, gerade wegen dieses Wiedererkennungseffekts. Aber ich bezweifle, dass jeder Leser dieses Buches, der eben nicht sprichwörtlich „dabei war“, „uns“ danach wesentlich besser verstehen wird. Vielleicht war das auch gar nicht das Ziel und ich verstehe die Intention falsch – vielleicht geht es eher darum, uns selbst zu erklären, warum wir so (manchmal jedenfalls) unerträglich nostalgisch auf die Zeit reagieren, die uns – unter anderem – AIDS, Tschernobyl und die Challenger-Katastrophe, aber natürlich auch Heimcomputer, Zurück in die Zukunft und die Wiedervereinigung der beiden Deutschlands geschenkt hat. Uns dazu zu bringen, ein paar Dinge einmal kritisch zu hinterfragen, sich bewusst zu werden, dass die nostalgische Verklärung eben nicht angebracht ist. Aber auch diesbezüglich hatte jedenfalls ich das Gefühl, nicht wirklich etwas Neues zu erfahren. Hey, wir wissen doch selbst, dass in Wirklichkeit früher nicht alles besser war (sollte der geneigte Leser zu der Gruppe von Menschen gehören, die das wirklich noch nicht bemerkt haben, bitte ich hiermit in aller Form um Verzeihung für die schonungslose Desillusionierung). Daher auch mein Fazit: Ein Buch, das ideal zur Selbstbestätigung der Kinder der 80er und 90er funktioniert und durchaus erfolgreich auf die richtigen Knöpfe für dieses warme, kuschelige Gefühl drückt – somit eine wohlwollende, aufgerundete Bewertung von „3 von 5 Sternen“. Kann man schon mal reingucken, in das Buch.
(mit Dank an den Solibro-Verlag und wie immer an BloggDeinBuch.de für die Vermittlung eines kostenlosen Rezensionsexemplars!)