30 Jahre? Hübsche runde Zahl…
Auch HillValley.de gratuliert Alf zum 30-jährigen TV-Jubiläum in Deutschland (demnächst hier wieder zu sehen!), und zwar mit meinem & Dr. Jörn Kriegers Interview für die altehrwürdige YPS:
Alf, Muppets & Co.: Von außerirdischen und anderen manchmal pelzigen Lebensformen im deutschen Fernsehen
„No problemo“ hätte eigentlich Alfs bekannter Spruch werden sollen, aber das gefiel Josef Göhlen nicht. „Die italienische Welle war vorbei“, erinnert sich der damalige Leiter des ZDF-Kinder- und Jugendprogramms an die langen Diskussionen über die Wortwahl in der deutschen Synchronisation der US-Serie. Man einigte sich dann auf „Null problemo“ anstelle des im Original zugegebenermaßen langweiliger klingenden „No problem“. Alfs lässiger Spruch gehörte schnell zur Alltagssprache einer ganzen Generation in den späten 80er und frühen 90er Jahren und ließ den außerirdischen Serienhelden zur Kultfigur werden. Auch der Terminator mit seinem „Hasta la vista, baby“ kam 1991 nicht mehr dagegen an. Am 5. Januar 1988 zeigte das ZDF die erste „Alf“-Folge. Anlässlich des 30-jährigen Bildschirmjubiläums sprach das YPS-Magazin mit Göhlen darüber, wie er „Alf“ entdeckte, weitere US-Serien wie die „Simpsons“ und die „Muppet Show“ ins deutsche Fernsehen holte und zu welch kuriosen Situationen es beim Einsprechen der deutschen Stimmen von „Heidi“ kam.
Doch wie hat man sich das eigentlich vorzustellen, wenn damals Serien ins Fernsehen gebracht wurden? Heutzutage kann man ja einfach „on demand“ jede beliebige Serie schauen, wenn man das richtige Abo hat, aber damals mit den standardmäßig drei öffentlich-rechtlichen Fernsehprogrammen musste man sich im schlimmsten Fall der Willkür der Programmdirektoren schonungslos ausgesetzt fühlen… oder?
Wer „Heidi“ große Augen machte
„Ich habe die Ideen zu den Programmen selbst gehabt oder von anderen übernommen und mit ihnen weiter ausgebaut, die Produktionen vorgeschlagen und durchgesetzt, redaktionelle Kontrolle delegiert oder selbst vorgenommen, Etat beantragt und verantwortet“, beschreibt Göhlen seinen umfassenden damaligen Verantwortungsbereich beim ZDF, wo er sich oft auch gegen internen Widerstand durchzusetzen hatte. Das war beispielsweise schon so bei „Wickie“ so, wo lang gezögert wurde wegen „der japanischen Art“.
Die Japaner drängten damals auf den europäischen Markt und suchten Stoffe, die sie verwerten konnten. Die Kooperation mit Japan bei der Produktion von Zeichentrickserien erwies sich laut Göhlen als echter Glücksfall: Die Stories aus dem alten Europa mit dem japanischen Manga- und Anime-Stil – erkennbar etwa an den großen Augen der Figuren – zu verbinden, schaffte „ein völlig neues Ambiente, eine einzigartige Symbiose in der Zusammenarbeit“. Auch wenn die Manga-Welle inzwischen nach Europa geschwappt sei, habe man damals mit Serien wie „Heidi“, „Wickie“ und „Biene Maja“ etwas Einzigartiges geschaffen.
Vom Land habe man wenig mitbekommen: Filme wie „Lost in Translation“ stellen die Situation ausländischer Medienschaffender vor Ort tatsächlich treffend dar. „Wenn wir persönlich hingeschickt wurden, lief es manchmal so ab, dass man 16mm-Filme im Hotelzimmer vorgeführt bekam und dass manche unserer Leute das Hotel in den drei Wochen, die sie da waren, kein einziges Mal überhaupt verließen“, erinnert sich Göhlen.
Wie die „Simpsons“ ins ZDF kamen
„Ich besuchte jedes Jahr die L.A. Screenings in Los Angeles, auf der die neuesten amerikanischen TV-Produktionen vorgestellt wurden. Was mir gefallen hat, habe ich herausgegriffen. So stieß ich auch auf die ‚Simpsons'“, blickt Göhlen zurück. „Als ich die Serie allerdings meinem damaligen Programmdirektor am Schneidetisch vorgeführt habe, lautete seine Reaktion nach fünf Minuten: ‚So ein Scheiß!‘ Und er rutschte regelrecht vom Stuhl. Diese gelben Figuren, diese Frisuren…“ In der Tat sei es mehr um das Design, weniger um den Inhalt gegangen. „Dazu musste man eben erstmal einen Zugang finden.“ Das klappte dann über die Kinder als Zuschauer. Allerdings wollte die Industrie im Rahmen des Werbefernsehens Erwachsene und keine Kinder ansprechen, weshalb man die „Simpsons“ beim ZDF nicht fortführte. Dass ProSieben mit der Serie dann so großen Erfolg hatte, lag nach Einschätzung Göhlens sicher auch daran, dass das ZDF und der Wirbel, den die Serie in der Presse auslöste, als Wegbereiter fungierten.
Und wie war das mit Alf?
Im Grunde liefen solche Vorführungen und Verhandlungen in den USA „eher trocken ab“, sagt Göhlen. Nichts von Hollywood-Glamour oder glitzernden Messe-Events, keine Schauspieler in Kostümen. Das Zottelwesen Alf fand er damals zunächst eher unsympathisch: „Nichts für die breite Masse“, war sein Ersteindruck. Daneben gab es ein generelles Akzeptanzproblem: „Wenn was zappelte, war’s für Kinder.“ Puppen und Zeichentrick standen damals für Kinderfernsehen. Aber Alf sollte ja ins Werbe-Rahmenprogramm. Cartoons für Erwachsene waren dort erst im Aufkommen. „Mit der ‚Muppet Show‘, ‚Alf‘ und den ‚Simpsons‘ habe ich versucht, diese Programmfarbe auch für Erwachsene im deutschen Fernsehen zu etablieren, war aber wohl meiner Zeit zu weit voraus“, bilanziert Göhlen. Überhaupt habe man den Begriff „Kinderprogramm“ in der damaligen Zeit wohl oft falsch verstanden.
Freiheiten und Feinheiten – die deutschen Fassungen
Im Grunde verdanken wir es Jim Henson, dass so etwas wie eine Puppe oder ein Typ in einem Fellkostüm sogar zur TV-Primetime überhaupt ernstgenommen wurden. Göhlen ist voll des Lobes für den Visionär. Bei Henson und seinem Team hatte man, entgegen der landläufigen Meinung, viele Freiheiten: „Die haben nur auf den Klang der Stimmen gehört, die konnten ja kaum Deutsch“, erinnert sich Göhlen – ansonsten ließen die amerikanischen Rechteeigentümer den deutschen Fernsehmachern meist freie Hand bei der „Germanisierung“.
Die „Simpsons“ und die „Muppet Show“ waren zwei der wenigen Serien, für deren Adaptionen im Ausland überhaupt Vorgaben gemacht wurden und genauer hingeschaut wurde. „Die Produzenten der ‚Simpsons‘ haben auch kontrolliert, ob die Vorgaben eingehalten wurden, indem sie Leute mit Sprachkenntnissen nach Deutschland geschickt haben“, erklärt Göhlen.
Für Jim Hensons „Fraggles“ gab es damals eigene Einspieler fürs deutsche Publikum, und auch die „Sesamstraße“ bediente sich bekannter deutscher Schauspieler wie der legendären Lilo Pulver. Und obwohl Henson mit deutschen Stars wie Harald Juhnke oder Mary Roos „nix anfangen“ konnte, wurden doch spezielle „Muppet Show“-Episoden nur fürs deutsche Fernsehen produziert: „Ihr seid die besten in ganz Europa“, soll Henson über die deutschen Adaptionen seiner US-Formate gesagt haben. So war es letzten Endes eine Geste der Dankbarkeit, dass die Deutschen auch einmal in der Sendung auftreten durften – ohne die Anschubfinanzierung aus Deutschland wäre die „Muppet Show“ sicher nicht in der Form möglich gewesen. „Das hat er uns zuliebe getan“, resümiert Göhlen.
Was Willi mit Koch „Smørrebrød“ verbindet
In diesem Zusammenhang müssen wir Josef Göhlen natürlich auch kurz nach Eberhard Storeck, der Stimme des Willi bei der „Biene Maja“, fragen – obwohl es nicht gerecht wäre, ihn darauf zu reduzieren. „Er ist einer unserer Besten auf dem Gebiet der Synchronisation. Storeck hat viel synchronisiert, das heißt die Synchronbücher geschrieben und die Synchronregie geführt. Seine Synchro der ‚Muppet Show‘ hat Jim Henson so sehr gelobt, dass er sie im Ausland, wo immer er konnte, als Beispiel herangezogen und propagiert hat.“ Dabei hat Storeck, wie Göhlen betont, „nicht übersetzt, sondern adaptiert“, manchmal auch Texte auf seine eigenen Bedürfnisse und seinen extravaganten Stil zugeschnitten: „Es stimmt wohl, dass er auf manche eitel wirkte – noch dazu mit Krokotasche und Pelzmantel auftretend – und gerne und viel redete, aber nie leer und sinnlos, sondern höchst geistreich und amüsant“, erinnert sich Göhlen. Der „Smørrebrød“-Gesang des dänischen Kochs beispielsweise, einer der Ohrwürmer bei der „Muppet Show“, stammt von Storeck – in der US-Originalfassung hat das Lied keine Entsprechung. Hier wurden Sprüche für eine ganze Generation geprägt – nicht etwa nur durch Übersetzung, sondern durch kreative Eigenleistung auf deutscher Seite!
„Eine Biene sehr bekannt“
Die Biene Maja ist es übrigens, der Göhlen den in vielen Medienberichten zur Legende erhobenen Namen „Insekten-Jupp“ verdankt. Horst Schättle, der damalige Kollege Göhlens im ZDF und spätere Intendant des Senders SFB, hat den Begriff wohl in hochprozentiger Stimmung geprägt. Göhlen hegt da keinen Groll und sieht das Ganze eher als unspektakulär an, als wir uns trauen, ihn darauf anzusprechen. Auch die Variante „Juppheidi“ stand wohl damals zur Auswahl – wegen dieser anderen Serie… Immerhin war man kreativ.
Hört man Göhlens Erzählungen über die kreativen Menschen, mit denen er zusammengearbeitet hat, stellt man, nebenbei bemerkt, fest, dass die Künstler auch gerne mal in eigener Sache kreativ wurden. Was heutzutage das große Drucker- und Festplattenversagen vor Abgabeterminen ist, befand sich in der damaligen Zeit auf einem ganz anderen Level: Es sei unglaublich, wie oft bei bevorstehenden Abgabeterminen „plötzlich öffentliche Briefkästen abgefackelt wurden“, schmunzelt Göhlen über eine häufig verwendete Begründung für nicht eingehaltene Skript-Deadlines.
The Grimmelshausen Kids
Apropos: Auch wenn sein schriftstellerisches Werk zumindest vom Umfang her nicht mit dem seiner Kollegen vergleichbar ist, ist er auch zweimal als Buchautor in Erscheinung getreten. Wir fragen ihn, wie es dazu kam, dass er eine der Figuren aus der „Augsburger Puppenkiste“, Bill Bo, zur Hauptperson in zwei von ihm geschriebenen Romanen machte. Was wirklich dahintersteckt, ist verblüffend: Im Grunde sind die Geschichten eine Art „Simplicissimus“-Adaption für Kinder. Die „Augsburger Puppenkiste“ brauchte damals auch ganz bestimmte Stoffe, „in denen Menschen und Tiere eine Rolle spielten“, sagt Göhlen. Es lag schon aus Lizenzierungsgründen immer nahe, historische Werke für so etwas herzunehmen. „Eines Tages fanden wir in der Literatur kein entsprechendes Material mehr. Ich wollte schon immer eine Erzählung für Kinder schreiben, bekam dazu die Erlaubnis meines Senders und machte mich ans Werk. Die Einfälle für die Charaktere und Handlung kamen mir an einem Abend in einer Hotelbar, nachdem ich zum wiederholten Male in Grimmelshausens „Simplicissimus“ hineingelesen hatte.“
„Timm Thaler“ und was dahinter steckte
In jeder Hinsicht einer der bemerkenswertesten Kreativen, mit denen Göhlen nach eigener Aussage zusammenarbeiten durfte, war James Krüss. Sein Roman „Timm Thaler oder das verkaufte Lachen“ erschien 1962, stieß aber zunächst auf wenig Publikumserfolg. „Mir gefiel die Geschichte sehr gut, denn es ging um die Existenz des Menschen. Das Lachen IST der Mensch! Mein großer Traum war, große Fiction für Kinder zu realisieren, denn damals war im Fernsehen für Kinder das Billigste gerade gut genug. Der hohe Preis für die Auftragsproduktion von ‚Timm Thaler‘ wurde dennoch gezahlt, weil das Projekt ‚ZDF-Weihnachtsserien‘ zu einem Event werden sollte, was es dann ja auch wurde“, blickt Göhlen zurück. Krüss hatte, so erinnert er sich, eine Phobie davor, mit dem Auto ein Kind überfahren zu können, weshalb er gleich ganz aufs Autofahren verzichtete.
Tommi Ohrner wurde in seiner Rolle als Timm Thaler zum Jugendstar. Weniger bekannt ist, dass er in früher Kindheit dem Geißenpeter in der Zeichentrickserie „Heidi“ seine Stimme lieh. Schon damals gab es strenge Beschränkungen bezüglich der Arbeitszeiten der kindlichen und jugendlichen Synchronsprecher. Aber man konnte sich nicht immer daran halten. „Wenn die Gewerbeaufsicht unangemeldet kam, musste Tommi dann eben solange irgendwo Verstecken spielen“, erinnert sich Göhlen schmunzelnd.
Mit der legendären „Timm Thaler“-Filmmusik von Christian Bruhn, der später auch „Captain Future“ entscheidend prägte, wäre es beinahe gar nichts geworden: „Er war zu sehr als Unterhaltungsmusiker bekannt, der Schlager schrieb, aber nichts für eine ernsthafte Serie wie ‚Timm Thaler‘. Die Regie und vor allem der Produzent wollten ihn zunächst nicht haben. Göhlen schaffte es am Ende aber doch noch, sich durchzusetzen – und der Erfolg gab ihm Recht. Im Laufe der Zeit hieß es von oben oftmals: „Wenn der Göhlen das meint, dann machen wir das.“
Rätsel um „Captain Future“
Ach ja, „Captain Future“: Der Frage zur ominösen Geschichte mit den „japanischen“ Namen mancher Figuren im Vergleich zu den Original-Romanen von Edmond Hamilton wollten wir bei der Gelegenheit auf den Grund gehen. Bei den Namen kam nämlich das bekannte asiatische R/L-Verwechslungsproblem zum Tragen: Aus Joan Randall wurde „Joan Landor“, aus Ezra die seltsame Form „Ezlla“. Göhlen, der „Captain Future“ ins ZDF holte, konnte leider nicht zur Lösung des Rätsels beitragen („Fiel mir auch nicht auf.“). Aber er hat eine interessante Theorie: „Die Synchronleute und die Redaktion fanden für die fremdartige Szenerie die verdrehten Namen vielleicht adäquat.“
„Gab es eigentlich viel Fanpost?“, fragen wir hier vorsichtig nach. Schließlich haben die von Göhlen initiierten Serien die Generation YPS nachhaltig geprägt. Die entsprechenden Wäschekörbe gingen damals eher an die Darsteller, allen voran Mädchenschwarm Tommi Ohrner, erinnert sich Göhlen. Wenn die Verantwortlichen Post bekamen, war es eher Kritik von Erwachsenen: Viele besorgte Eltern verboten ihren Kindern, die Zeichentrickserie „Captain Future“ zu sehen – und das, obwohl fast alle Folgen nur mit „Gewaltschnitten“ (im doppelten Sinne) gezeigt wurden und einige überhaupt nicht im ZDF zu sehen waren.
Mehr Mut, Macher!
Von „Biene Maja“ bis „Heidi“: Was hält Göhlen von den Neufassungen der alten Serien, die jüngst produziert wurden – in 3D-Optik, mit schnelleren Schnitten und mehr Action? „Ich habe nichts mehr damit zu tun. Die Rechte liegen bei anderen und damit können die machen, was sie wollen.“ Einen Rat hat er dennoch an die Produzenten: „Natürlich kann man die Geschichten der Zeit gemäß neu auflegen. Aber alle diese Fassungen sollten wenigstens so liebenswert – heute in Gebrauch und Programm ein abhanden gekommenes Wort – wie die Urfassung sein und vor allem sollten sie dem Geist des eigentlichen Ideenträgers und Urhebers nicht widersprechen.“
Risiko statt Recycling: Den heutigen Programmmachern empfiehlt Göhlen mehr Mut. „Ich würde mehr Innovationen wagen.“ Gutes Programm dürfe anecken und brauche Kritik, betont Göhlen. Viele Programme, die heute Kultstatus genießen, setzte er damals gegen hausinternen Widerstand durch. Bei Kritikern fielen sie durch, beim Publikum kamen sie gut an. „Nach Erstsendungen gab es von mir eine ‚eingeübte‘ Frage: Wie war die Kritik? Schlecht? Toll!“
Die Erinnerungen, die wir an die Fernsehzeit unserer Kindheit und Jugend haben, mögen unterschiedlich sein, aber eines ist klar: Der Retro-Geist, der durch unsere Generation weht, wäre definitiv ohne das Wirken von Josef Göhlen nicht derselbe.