Rezension: Petro Taras Tyschtschenko, Meine Erinnerungen an Commodore und Amiga

Die folgende Rezension eines für 80er/90er-Fans unter den Lesern sicherlich interessanten Buchs erschien ursprünglich in der „Retro„, (Druck-)Ausgabe 33.


Alwin Stumpf, Manfred Schmitt, Bill Buck, Bill McEwen, Petro Tyschtschenko. Wenn Sie um die 1990er-Jahre einen Amiga besessen haben, wird Ihnen mindestens ein Name aus dieser Liste etwas sagen, und wenn es tatsächlich nur ein einziger ist, dürfte es sich bei den meisten Lesern um den Namen Petro Tyschtschenkos handeln – aus unterschiedlichen Gründen. So bleibt er einigen als einzige Konstante, als der unerschütterlich auf dem sinkenden (und mehrfach den Besitzer wechselnden) Schiff ausharrende Kommodore, pardon, Kapitän in Erinnerung, den anderen als der in der Vergangenheit Lebende, der sich weigerte, endlich loszulassen. Einige, so liest man in Tyschtschenkos Wikipedia-Eintrag, stellen gar den Vergleich an, er sei für den Amiga, was Bill Gates für Microsoft sei. Kein Zweifel dürfte bestehen, dass er nicht nur im deutschsprachigen Raum einen maßgeblichen Teil dazu beigetragen hat, dass dieser Computer länger im Bewusstsein der Menschen geblieben ist…
„Erstmals blickt Petro Tyschtschenko in seinem Buch hinter die Kulissen von Commodore Deutschland“, verspricht der Klappentext. Mit Ko-Autor Patric Klöter schildert Tyschtschenko seine Karriere und seine Aufgaben bei Commodore. Besonders interessant: seine (und damit „die deutsche“) Sicht der Gründe des Konkurses im April 1994, nach dem er mit anderen Commodore-Direktoren von Konkursverwaltern gar persönlich belangt werden sollte, während er – zwischenzeitlich zum Präsidenten aufgestiegen – versuchte, Firma, Computer und OS am Leben zu erhalten.
Der ab und an erlebnisaufsatzmäßige Erzählstil offenbart, dass man es hier „nur“ mit der Arbeit von engagierten Amateuren im Bereich biographischer Literatur zu tun hat, was andererseits hohe Authentizität vermittelt. Über die nicht-berufliche Biographie des Petro Taras Ostap Tyschtschenko erfährt man im vierseitigen Einstiegskapitel, aber sonst allenfalls zwischen den Zeilen, doch das ist ja auch nicht das erklärte Ziel des ansonsten eindeutig aus subjektiver Perspektive geschriebenen Buches. Der Schwerpunkt liegt außerdem nicht so sehr auf Commodore selbst – auch wenn man durchaus kuriose Interna mitbekommt. Erwähnenswert sind in diesem Zusammenhang die auf 6 (!) Seiten zitierten Verse einer Büttenrede von 1984, die die Arbeit bei Commodore in den üblichen Stil solcher Reden treffenden Worten zusammenfasst: „Ist’s nicht herrlich hier, ihr Leut, / keine Hektik und viel Zeit. / Und wem tut das all nicht passen, / ja, der kann uns auch verlassen!(S. 56). Für komplexere Einblicke in die – auch geschäftlichen – Zusammenhänge muss man wohl eher die (2012 neu aufgelegte und erweiterte) „Commodore Story“ aus dem CSW-Verlag heranziehen.
Petro Tyschtschenko konzentriert sich schließlich auf den Amiga, der sein besonderes „Baby“ werden sollte. Er begleitete den Computer auch in die Zeit von ESCOM / Amiga Technologies, Tulip und Gateway 2000 bis hin zu Cloanto als OS-Lizenznehmer – und seiner Import-Aktion mit originalverpackten Amiga-Magic-Bundles aus indischen Lagerhäusern 2013-2014. Dabei wünscht man sich fast noch mehr Detailinformation von dem Mann, dessen Liebe zu dem legendären Commodore-Computer für lange Zeit Hauptmotivation im Leben zu sein scheint. Dies betrifft beispielsweise seine Beteiligung an der Dance-CD „The Theme Of Amiga Back For The Future“, deren Entstehung auf weniger als einer halben Seite eher beiläufig abgehandelt wird, obwohl sie doch – einmal ungeachtet ihrer diskutablen musikalischen Qualität – eine der Aktionen darstellt, die die Identität der Amiga-Fangemeinde mit definieren. Auf jeden Fall scheint die Schwerpunktsetzung manches Mal entweder einer gewissen Bescheidenheit des Primärautoren oder aber – was nicht zu hoffen ist – Gedächtnislücken geschuldet zu sein; möglicherweise hat der Mitautor die falschen Fragen gestellt oder man hätte vielleicht auch Fragen der immer wieder beschworenen Fangemeinde berücksichtigen sollen, statt das Projekt offenbar mit kleinen Ausnahmen im Alleingang durchzuziehen…
In einem sechsseitigen Epilog stellt sich schließlich Ko-Autor Klöter, Jahrgang 1978, ebenfalls vor, wobei auch hier der Schwerpunkt auf seinen persönlichen Erfahrungen als Commodore-Nutzer und der Begegnung mit Tyschtschenko liegt.
Der letzte Abschnitt enthält auf rund 50 Buchseiten Reproduktionen einiger höchst relevanter Dokumente, wobei in der Tat Dinge öffentlich werden, die man sonst nicht zu sehen bekäme: Petro Tyschtschenkos Bewerbung bei Commodore Deutschland im Originalwortlaut lässt den Leser eine nostalgische Gänsehaut spüren und sich in die Rolle des ursprünglichen Empfängers hineindenken. Dabei muss man sagen, dass das Anschreiben keineswegs übermäßig originell in Formulierung oder Design ist (wie von manchen heutigen Bewerbungstrainern empfohlen) – aber das beweist, wie sehr Tyschtschenko allein durch seine Qualifikationen überzeugt haben muss.
Neben Geschäftsstatistiken, Werbeanzeigen und Stellenausschreibungen finden sich als weiteres Highlight Reproduktionen zeitgenössischer Amiga-Prospekte, mit denen noch 1994 versucht wurde, Seriosität und Investitionssicherheit zu vermitteln.
Seit Juni 2014 ist das Werk erhältlich, das Petro Tyschtschenko nach eigenen Angaben schon über 10 Jahre „mit sich herumtrug“. Das Buch nimmt, zumindest nach Einschätzung des Rezensenten, trotz seiner Schwächen vor allem diejenigen unter den Lesern, die selbst Amiga-User waren oder noch sind, durch die Authentizität mit auf eine Zeitreise, bei der ihre persönliche Geschichte mit der des Computersystems untrennbar miteinander verwoben wird. Es ist durchgehend illustriert, wobei die zumeist farbigen Fotos und Abbildungen mehrfach Zeitschriftenscans darstellen, die in Einzelfällen Interferenzmuster bzw. Rasterungs-Artefakte aufweisen. An wenigen Stellen sind dem Lektorat bzw. Korrektorat sprachliche Fehler entgangen, aber ansonsten macht das Buch – auch in (typo-)graphischer Hinsicht – trotz des sichtlichen Selbstverleger-Touchs einen ordentlichen Eindruck. Eine Übersetzung ins Englische ist angekündigt.

 

Titel: Meine Erinnerungen an Commodore und Amiga
Autor: Petro Taras Tyschtschenko
Verlag: Power Service GmbH / Eigenverlag
Seiten: 200 (broschiert)
Preis:24,90
ISBN: 978-3-9816579-0-6

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