Ein Affe, der spricht

Nein, hier geht es (noch) nicht um den neuen „Planet der Affen“; vielmehr ist diese Bezeichnung das, was die Kgenmar in den Menschen sehen. Die Kgenmar sind reptil-humanoide Wesen, die – so behaupten sie es zumindest immer wieder – von ihrer Gottheit, dem Abwûn (Nominativ: das Abwûn, übrigens auch das aramäische „Vater Unser“), auf die Erde gesandt wurden, um den Planeten und mit ihm die Menschheit, die sich und ihn durch Kriege und Umweltverschmutzung an den Rand des Kollaps gebracht hat, zu retten. „Das Herz des Abwûn“, so der Titel des Debütromans von E.M. Jungmann, der eine weitere Entdeckung der epidu-Community darstellt, ist dabei zunächst die sprichwörtliche Schlangengrube: Mit grausamer Effizienz gehen die Kgenmar ihrer angeblichen Berufung nach, es gibt kaum ein menschliches „Fehl“-Verhalten, das nicht um irgendeine Ecke zur Todesstrafe führte, und die Menschen werden zwar nicht direkt versklavt, aber buchstäblich „an der kurzen Leine gehalten“ (die Haustiermetapher wird schmerzlicher offenkundig, als die Protagonistin beim Abendessen einen Bissen Brot zugeworfen bekommt und die Fleischreste von einem Knochen nagen darf, die ihr „Herr“ übrig gelassen hat). Der Leser begleitet die junge Ellen aus Dachnat-Kgenmar, die, wie es die Tradition verlangt, mit Einsetzen der Pubertät in die „Dienste“ der Besatzer zu treten hat, auf einer „Reise“ (vgl. Untertitel des Buches), die das Verhältnis zwischen Menschen und Kgenmar auf eine neue Ebene heben soll – unter anderem, indem sie zunächst widerwillig mit deren (zukünftigem) Anführer vermählt wird…
Die Autorin schafft hier erfolgreich eine neue Welt mit einer eigenen Sprache und Religion und fesselt den Leser durchaus mit einem gerüttelten Maß an Innovation, obwohl es natürlich mit jedem erscheinenden Fantasyroman schwieriger wird, nicht irgendwelche Anklänge an andere bekannte Werke zu wecken. So war meine erste Assoziation bei den die Menschen auf ihrem eigenen Planeten zur zweitklassigen Lebensform werden lassenden Kgenmar die Situation, die John Christopher in der bekannten Trilogie um die „Dreibeinigen Herrscher“ beschreibt (die ihrerseits bekanntlich im Design an H.G. Wells‘ Marsianer-Tripoden aus „Krieg der Welten“ erinnern). Andere Passagen ließen mich an Frank Herberts „Wüstenplaneten“ denken, insbesondere wenn die Autorin (im Glossar immerhin vorbildlich erklärte und in sich schlüssige) religiöse Vorstellungen der Kgenmar einfließen ließ; ich hätte mich zeitweise kaum gewundert, auch noch irgendwo den Begriff „Kwisatz Haderach“ zu lesen…
Womit ich leider eher Schwierigkeiten hatte, war die Behandlung eben jener religiös-mystischen Gründe für die Besatzung der Erde durch die Kgenmar und der daraus resultierenden Philosophie. Der Infotext zum Buch, das tatsächlich als „mystischer Fantasyroman“ und damit keineswegs unter falscher Flagge daherkommt, spricht davon, dass sich die Autorin durch aktuelle Diskussionen und Konflikte unserer Welt habe inspirieren lassen, sodass ich davon ausgehe, dass auch religiöser Fanatismus bzw. das Vorschieben der Religion zur Rechtfertigung von Gewalt, dessen sich beispielsweise heutige Islamisten bedienen, zu diesen Themen gehört. Aber obwohl die Autorin ihrer Protagonistin eine gewisse kritische Distanz zugesteht, habe ich – trotz aller Rechtfertigungsversuche und Sympathiewerbung – immer wieder auch das Gefühl gehabt, Ellen fiele möglicherweise auf einen kaum hinterfragten Mystizismus herein, lasse sich am Ende auch durch diverse an Gehirnwäsche erinnernde Methoden (neben tatsächlicher Telepathie mit Tendenz zur Gedankenkontrolle ist da auch mehrmals von einem „reinigenden Gefühl“ die Rede, das einen beispielsweise beim Durchschreiten eines – elektronischen? – Eingangstores überkommt) inklusive eines „bewusstseinserweiternden“ Getränks (das natürlich – auch hier haben wir nur die Aussage des herrschenden Kgenmar – keineswegs Alkohol enthält oder irgendwie derartige Berauschung verursacht…) einlullen. Ich schaffe es leider auf lange Sicht nicht, es als gegeben hinzunehmen, dass Ellen schließlich die große Wahrheit und die Liebe der Gottheit hinter all der Misshandlung, erniedrigender und entwürdigender Behandlung der Menschheit – selbst wenn diese durch ihr Verhalten eine Art Strafe auf sich herabgerufen haben mag – so erkennt und akzeptiert, dass sie mit dem früheren Feind, der ja nur das Beste will, ins Bett steigt, um eine „Prophezeihung“ zu erfüllen… Wenn besagte „Reise“ nicht nur die Protagonistin sondern auch den Leser zur Erkenntnis bringen sollte, dass die mystische Schicksals- und Berufungs-Idee der Kgenmar tatsächlich nicht nur eine Rechtfertigungslüge ist, sondern dass es diese überirdische Macht wirklich gibt, die voll Liebe die Welt in die Richtung lenkt, wohin sie sich gemäß ihres göttlichen Willens zu bewegen hat, hat es bei mir (trotz der eindeutig übernatürlichen Ereignisse vor allem auch gegen Ende der Geschichte) leider nicht richtig funktioniert. Mag sein, dass man mir vorwerfen kann, ich hätte eben das Buch nicht verstanden, aber ich habe es bis zum Schluss nicht geschafft, diesen ekligen Nachgeschmack ganz loszuwerden.
Insgesamt machte das auf epidu.de verfügbare „Versucherli“, das auch den Ausschlag zur Wahl in die Liste der zu veröffentlichenden Bücher gab, und die inspirierte Lesung eben jener ersten Seiten/Kapitel durch die sympathische Autorin mir das Buch wesentlich schmackhafter, als es die ganze „Mahlzeit“ dann einlösen konnte: „Die Reise“ wurde mir – eben wohl deswegen, weil ich mit erwähnter grundlegender Philosophie einfach nicht klar kam – insgesamt doch zu lang (während der unvermeidliche Endkampf mit „der Bösen“ potterig schnell vorbei ist).
Das Buch wird auf dem Klappentext nicht eindeutig als Jugendbuch beworben, zumindest die „Vorschauversion“ beinhaltete allerdings eine diesbezügliche Bemerkung. Ich schraube daher zur Be-Sternung meinen Anspruch auf „objektive“ Überzeugungskraft des Mystizismus in diesem Buch ein wenig herunter, wobei ich damit nichts über leichter beeinflussbare Jugendliche gesagt haben will… Nachdem die Autorin einerseits sichtlich ihr Handwerk beherrscht, ich aber andererseits mit dem Buch auf lange Sicht nicht ganz glücklich geworden bin, vergebe ich vorsichtige 3 von 5 Sternen.
Übrigens, im Epilog des Romans bin ich dann übrigens doch irgendwie (wieder) auf dem Planeten der Affen gelandet: Der mögliche Fortsetzungsband scheint mir, wie hier angedeutet wird, zumindest eine Gemeinsamkeit mit dem zweiten Teil der klassischen „Planet der Affen“-Filme zu besitzen – die Mutanten aus der Verbotenen Zone stehen bereit… Ob E.M. Jungmann am Ende auch eine Kobaltbombe zünden wird?

Ich bedanke mich wieder einmal beim epidu-Verlag und bei bloggdeinbuch.de für die Vermittlung und Zurverfügungstellung eines kostenlosen Rezensionsexemplars.

Eine Sammlung von stilistisch hochwertigen Horror-Kurzgeschichten der gleichen Autorin könnt ihr übrigens im Kindle-Format günstig unter diesem Link erwerben; eine Hörfassung der Titelgeschichte „Karnivoren“ kann man hier kostenlos herunterladen.

2 Reaktionen zu “Ein Affe, der spricht”

  1. Stefan B.

    Woe, eine tolle rezension die du hier geschrieben hat. Ich hab sie mit interesse gelesen. Ich persönlich hatte nicht den Eindruck das es wie beim Planet der Affen zugeht, bin aber auch nicht auf den Gedanken gekommen.

    Mir hat der Roman sehr gefallen, wie man in meiner Rezension nachlesen kann: www.terablog.de/2011-12/buchrezension-das-herz-des-abwun-die-reise-ein-lesenswerte-fantasy-roman

  2. Jorge

    …dass es so zugeht, hab‘ ich natürlich nicht gemeint – nur, dass mindestens zwei Elemente Assoziationen wecken 😉

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