Jeder Tag endet mit dem Tod

Um eines gleich vorwegzuschicken: So eine Geschichte ist schon oft erzählt worden – als Kurzgeschichte, als Komödie, als High-Tech-Krimi… und doch: So sehr hineingezogen hat mich lange keine mehr – vermutlich auch deswegen, weil die Form des 90-Minuten-Films, der Kurzgeschichte oder der TV-Miniserie das einfach nicht zulassen und nur ein ordentlicher, altmodischer Roman das kann. Und wenn er dafür schon im Taschenbuchformat über 400 Seiten braucht, die man trotz einer berufsbedingt ankonditionierten Abneigung gegen allzu „dicke Wälzer“ nicht mehr aus der Hand legen kann, dann ist das ein verdammt gelungener Roman. Ich rede von „Jeder Tag endet mit dem Tod“ von Michael Schröder, einer Entdeckung der „Community“ des EPIDU-Verlags, den ich mir zunächst mit dem Stempel „‚…und täglich grüßt das Murmeltier‘ als Krimi“ im Kopf und daher „nur“ einer durch mein Blog-Fachgebiet begründeten Neugier habe schicken lassen, der es aber rückblickend ganz eindeutig verdient hat, sich ein eigenes und umfassenderes Bild zu machen. Regelmäßige Leser wissen natürlich, dass ich die Art von Geschichte (Zeitreisen / Zeitschleifen) sehr gerne mag, weswegen ich immer wieder aufs Neue gespannt bin, wie sich andere, neue Figuren in der mir sehr vertrauten Situation verhalten werden, in die ich mich auch schon öfters selbst hineingedacht habe. Mithin bin ich nicht vorurteilsfrei und Teile dieser „Vorurteile“ sind durchaus von gewissem Wohlwollen geprägt; man möge diese Rezension also keineswegs als den Versuch ansehen, ein gänzlich objektives Urteil abzugeben – was aber wohl auch nicht notwendigerweise die Absicht einer solchen ist… Aber Moment: Zeitsprung an den Anfang.
Die Gründer des EPIDU-Verlags (selbst eine besondere Erwähnung wert, handelt es sich doch um einen sogenannten „Web 2.0-Verlag“, bei dem eine „Community“ über die Veröffentlichung von Werken v.a. neuer, bislang unbekannter Autoren mitbestimmen darf) betreiben eine nette kleine Plattform für Bloggerinnen und Blogger, die sich im weitesten Sinne mit Literatur beschäftigen. Die Webadresse lautet „bloggdeinbuch.de„, was es schon ganz gut beschreibt: In Zusammenarbeit mit verschiedenen Verlagen können dort Rezensionsexemplare von Büchern geordert werden, die dann innerhalb eines Monats auf dem jeweiligen Blog besprochen werden sollen. Bloggdeinbuch.de vereinfacht dabei die Antragsformalitäten und sorgt über eine zentrale Besprechungs-Datenbank auch noch für die weitere Verbreitung der jeweiligen Rezensionen (von denen dort nur jeweils eine unvollständige Fassung zu lesen ist) und damit auch der betroffenen Blogs. Ich habe mich dort mal angemeldet, nachdem ich im Verzeichnis lieferbarer Bücher auf diesen Krimi mit der bekannten „ein Tag wiederholt sich immer und immer wieder, bis alles zu einem guten Ende kommt“ – Thematik gestoßen bin, der ganz offensichtlich gut ins Hill Valley Blog passen würde.
Gibt das Titelbild des Buches in seinen Parallelen zu – wieder einmal! – diversen Zeitschleifenfilmpostern etwas über die Handlung preis, so verrät der Titel sogar schon ein wenig etwas über das Zustandekommen der Zeitschleife selbst – in diesem Fall eine Parallele beispielsweise zu Ken Grimwoods „Replay“ (vgl. meine Lieblingsbuchempfehlung anderenorts). Auch die Inhaltsangabe des Buches hatte ich natürlich vorher gelesen, und nachdem es das ist, was quasi das Kaufargument für diesen Krimi ausmacht, ist es deren SchreiberIn(nen) natürlich nicht gelungen, auf den entsprechenden Hinweis zu verzichten – so ist der „Spoiler“ diesbezüglich immerhin nicht mir anzulasten, der ich es ja auch schon verraten habe… Was an der Sache etwas störend wirkt: Weiß man dieses kleine Detail im Voraus, wartet man die ganze Zeit darauf, dass „es“ endlich passiert, aber es dauert in der Tat an die 140 Seiten, bis die Original-Geschichte endet.
Netter Nebeneffekt für den Protagonisten: Elmar Kreuzer muss nicht, wie er ursprünglich befürchtet hat, seinen wertvollen Urlaub für die Lösung eines Mordfalles außerhalb seines Zuständigkeitsgebiets nutzen, bei dem laut der Tochter des Opfers (sie kennt ihn aus der Zeitung als Ermittler, der ganz im Gegensatz zu ihrer Dorfpolizei nie aufgibt) einiges „nicht rund ist“. Kreuzer stellt bald fest, dass sie damit wohl recht hat, und macht sich auf die Suche nach Hinweisen. Der Teil der Story firmiert tatsächlich unter dem Motto „so weit, so konventionell“ – denn auch den Protagonisten hat man in ähnlicher Form natürlich schon mal gesehen. Doch weiß man nicht erst seit dem neuen Gyllenhaal-Film „Source Code“, dass es kaum etwas Besseres als eine Zeitschleife gibt, um ein Verbrechen aufzuklären, bei dem jeder verstrichene Tag sinkende Chancen auf Aufklärung bedeutet. Wer hat noch nicht den Ermittler eines Krimis sagen hören „Wenn wir doch mehr Zeit hätten“ – Elmar Kreuzer HAT. Dummerweise ist er nicht allein damit, wie auch der Leser bald feststellen darf, der immer tiefer in die Tücken der Zeitschleife hineingezogen wird…
Dies ist auch der Figurenzeichnung des Autoren zu verdanken, die ich als sehr plastisch empfunden habe – man kann sich Haupt- aber auch Nebenfiguren nicht nur gut vorstellen und sich in sie hineinversetzen, weil der Autor ihre Gedanken und Gefühle transparent macht, sondern es geht noch diesen einen kleinen Schritt über das bloße „Sich-vorstellen-können“ hinaus: Man empfindet genau das richtige Quantum an Sym- und Antipathie, das der Autor den Personen beimisst und das sie wie lebendige Menschen erscheinen lässt, obwohl sie nur auf dem Papier existieren. Das tröstet über gelegentliche trotz insgesamt sauberem Lektorat verbleibende sprachlich-inhaltliche Schwächen (auch kleine Rechtschreib- und Kommafehler, die dem Deutschlehrer in mir trotzdem noch aufgefallen sind, übersehe ich ‚mal großzügig) hinweg, etwa die meiner Meinung nach zu früh einsetzende väterliche Liebe des Kommissars zu seiner jungen Auftraggeberin oder das – zwar beabsichtigte, aber nicht immer überzeugende – Pendeln letzterer zwischen kindlicher Naivität (oft wird ihr diese vom Protagonisten in Gedanken explizit vorgeworfen) und allzu erwachsen wirkendem Zynismus. Ab und an gibt es etwas aufgesetzt wirkende schildernde Elemente – wenn sich eine Tür „dem Schlüssel ergibt“ oder ein Motor „seinen eigenen Tod stirbt“, hört man schon den Schriftsteller-Workshop trapsen. Von anderen Rezensenten festgestellt wurde bereits die Tatsache, dass der „wissenschaftlichen“ Seite, den möglichen Ursachen des Zeitsprungs, hier ebenso wenig nachgegangen wird wie in „…und täglich grüßt das Murmeltier“, wo Phil nur feststellt, er sei wohl „ein Gott“ (womit Bill Murray und Harold Ramis vielleicht sogar auf ihren großen Erfolg „Ghostbusters“ anspielen, aber das ist eine andere Geschichte). Kreuzer nimmt die Sache nach kurzer Zeit einfach als gegeben hin – der Leser braucht vielleicht ein bisschen länger, sich daran zu gewöhnen, als der Protagonist, ist dann aber fast dankbar, dass am Schluss nicht doch noch ein deus ex machina hervorgezaubert wird. Ich könnte mir sogar vorstellen, dass Elmar Kreuzer als Figur noch in zwei bis drei weiteren Abenteuern von der seltsamen Fähigkeit profitieren kann, einfach „nicht totzukriegen“ zu sein…
Mein Fazit: Es gelingt dem Autoren von „Jeder Tag endet mit dem Tod“ trotz der z.T. recycelten Grundideen seines Romans, ihn lesenswert und spannend zu machen. Es kommt eben doch auf die Kombination der Zutaten an, dann können auch Nudeln mit Soße oder Kartoffeln mit sonstwas immer wieder lecker schmecken, obwohl man ja wahrlich weiß, wie Nudeln mit Soße oder Kartoffeln mit sonstwas schmecken – oder eben Zeitschleifen.
Das Hill Valley Blog bedankt sich beim EPIDU-Verlag und Bloggdeinbuch.de für die freundliche und vor allem kostenlose Zurverfügungstellung eines Rezensionsexemplars!

4 Reaktionen zu “Jeder Tag endet mit dem Tod”

  1. Michael Schröder

    Wow …
    Ich habe da ja gleich zweimal lesen müssen. Das ist eine meiner liebsten Rezensionen zu meinem Buch – definitiv und unangefochten. Ersten sprachlich interessant formuliert, mit Links zu dem Thema versehen, dass ich nun sich Webseiten offen habe, bei denen ich noch nachlesen werde und kompetent ausformuliert.
    Danke an den Verfasser, der es geschafft hat die Stärken und die Schwächen des Buches punktgenau zu treffen – ja auch die Autoren wissen um die kleinen Fehlerchen in ihren Büchern.
    Layout, Lektorat, Druck und Cover, sowie Klappentext oder andere Dinge rund um das Design, nehme ich nicht auf meine Schulter 😀 Aber für den Rest bin ich zweifellos schuldig. In Sinne des Positiven und Negativen.
    Wenn also noch Bedarf besteht – jedes Buch hat seine Geschichte – dann surft doch mal weiter unter
    www.dieschroeders.net
    Dort findet man Infos zu dem und zu den anderen Büchern und bald auch zu den Kurzgeschichten von mir.
    Hörproben und Video incl. versteht sich.

    in diesem Sinne, dankend und
    Mit freundlichen Grüßen,
    Michael Schröder

  2. Jorge

    Danke ebenfalls! 😉 Links zu Fan-/Autoren-Info-Seiten fehlten im laufenden Text tatsächlich noch – hiermit nachgeholt!

  3. bee

    Hab auf Grund deiner Rezension dieses Buch gekauft und es in knapp 2 Tagen weggelesen. Klasse geschrieben, hat sich definitiv gelohnt! Danke.

  4. Hill Valley Blog » Blog Archiv » Guðjón Ólafssons Zeitreise als Laborratte

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