Virales Marketing

„Don’t you know we got smart bombs, it’s a good thing that our bombs are clever. Don’t you know that the smart bombs are so clever, they only kill bad people now.“ (Oingo Boingo, „War Again“)

Die Freuden des Hypertext: Immerhin muss ich niemandem erklären, wer Mark Bowden ist, und auch nicht, was „Conficker“ für eine Bedeutung hat. Zumindest dessen sollte man sich bewusst sein, damit man „Worm“ nicht für ein Biologiebuch hält. Wobei es das irgendwie ja dann doch ist – denn die Krankheiten, mit denen sich unsere Vorfahren herumschlagen mussten, sind wohl gar nichts gegen die elektronischen Viren der Neuzeit, wo man nicht einmal mehr physikalisch irgendwohin reisen muss, um sich oder jemand anderen anzustecken.
Bowden als Wissenschaftsjournalist macht es sich hier zur Aufgabe, dem interessierten (!) Laien zu verdeutlichen und überhaupt erst bewusst zu machen, wie die – für den Normalbürger eher nervige – Virenbedrohung speziell von Windows-Computern zustandekommt und was frei nach Goethe „die Virenwelt im Innersten zusammenhält“ bzw. – daher der Untertitel „Der erste digitale Weltkrieg“ – wie und wieso Computerviren eben nicht nur Computer, sondern tatsächlich die Menschheit als solche bedrohen. Er verfolgt dabei in semi-erzählenden Passagen die Bemühungen einzelner Mitglieder der „Kabale“ (nicht im alten Sinne von „Intrige“, sondern hier anglo-amerikanisch für eine „verschworene Gemeinschaft“ gebraucht) von Ideal- und Spezialisten, die dem „Conficker“-Wurm (offenbar der zum Zeitpunkt gefährlichste Computervirus in freier Wildbahn) auf den Fersen sind. Eine treffende Pointe, die mir in diesem Zusammenhang positiv im Gedächtnis geblieben ist: Nach ungefähr der Hälfte kommt der Autor auf die interessante Feststellung, dass die Leute, die sich ehrenamtlich (!) darum kümmern, dass die Virenprogrammierer nicht gewinnen, die wahren Superhelden à la X-Men sind: Sie sind nicht nur „Mutanten“ in dem Sinne, dass sie in vielerlei Hinsicht keine „Normalbürger“ (mehr) sind, sie erfüllen damit sogar das Kriterium der unspektakulären Reallebens-identitäten, die sich viele Superhelden zulegen bzw. aus denen sie hervorgegangen sind und die sie zwischendurch wieder annehmen (müssen).
Dieses Buch ist für alle, die einmal über den „ich – brauch – Computer – nur – zum – Arbeiten – aber – wie – sie – funktionieren – ist – mir – prinzipiell – wurscht“ – Tellerrand hinweg gucken wollen, eine durchaus spannende Lektüre, aber in besonderem Maße natürlich für diejenigen, die zumindest schon eine kleine Affinität zur Geekigkeit besitzen. Man muss zwar nicht unbedingt Vorwissen haben, aber der im Buch mehrfach zitierte „Blick“ (wenn ein Spezialist über sein Fachgebiet referiert, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, dass der Zuhörer nicht unbedingt vom Fach ist) stellt sich, denke ich, ansonsten auch beim Leser ein. Da ist es doch ganz praktisch, das der Reportage-Erzählung nicht nur ein Personenverzeichnis voran- sondern auch ein Glossar der wichtigsten Begriffe nachgestellt wurde. Gelegentlich merkt man dem Buch nicht nur wegen der englischen Fachbegriffe (die sind auf dem behandelten Gebiet einfach unvermeidlich, es sei denn, man geht den Weg der Franzosen und nennt Computer konsequent „ordinateur“, die Software „logiciel“ und die Spice Girls „Leh Spiss Schirl“) gelegentlich an, dass es aus dem Englischen übersetzt wurde, aber die sprachliche Gestaltung geht insgesamt schon in Ordnung.
Vor allem ist das Buch ein faszinierender Blick hinter die Kulissen des Internets (auch einige geschichtliche Details, die mir noch nicht bekannt waren, habe ich gelernt) – ob die Bedrohung nun wirklich so dramatisch ist, dass man das ganze als „Weltkrieg“ verkaufen muss, wird sich vielleicht noch herausstellen. Dass der Autor das Ganze ein wenig dramatisiert und man sich bei dem Text stilistisch nicht immer sicher ist, ob man ein Sachbuch oder einen Thriller vor sich hat, liegt in der Natur der Sache, kann manchmal aber auch irritieren.
Was ich seit langer Zeit gerne einmal nachvollziehbar und befriedigend beantwortet hätte, weil es den „Info-Krieg“ tatsächlich zu einem weltbedrohlichen machen könnte: Warum muss die entsprechende Infrastruktur überhaupt ans „zivile“ WWW angeschlossen sein? Den prinzipiellen Sinn der Vernetzung von Krankenhäusern sehe ich ja noch ein, aber muss man ein Atomkraftwerk (überspitzt ausgedrückt) unbedingt mit dem Internet Explorer von zu Hause aus steuern können? Klar, dass das nicht unbedingt Ziel und Aufgabe des Buchs ist, aber man wird ja schon mal fragen dürfen…
Eine Zurück-in-die-Zukunft-Verbindung hab‘ ich übrigens auch noch gefunden: Phil Porras, der erste „Held“ der Geschichte, ging nämlich auf die Whittier High School – wer’s nicht weiß: Das ist nicht nur die Schule von Ex-Präsident Richard Nixon, sondern auch die Kulisse der Hill Valley High gewesen…


Wieder einmal herzlichen Dank an BloggDeinBuch.de für die Vermittlung und den Berlin-Verlag für das Rezensionsexemplar dieses Buchs!

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